Tiefengeothermie: Das unterschätzte Potenzial für Deutschlands Wärmewende
Tiefengeothermie nutzt die natürliche Wärme des Erdinneren, die in Tiefen von mehreren Kilometern in Form von heißem Thermalwasser oder heißem Gestein vorhanden ist. Anders als Wind- oder Solarenergie ist sie grundlastfähig, also 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr verfügbar, und unabhängig von Wetter- oder Tageszeiten. Dies macht sie zu einer idealen Quelle für die kontinuierliche Versorgung von Wärmenetzen, die für die Dekarbonisierung urbaner Gebiete und Industriecluster unerlässlich sind.
Das technische Potenzial in Deutschland ist immens. Studien wie die von Fraunhofer IEG oder der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gehen davon aus, dass tiefengeothermische Lagerstätten bis 2040 in Deutschland jährlich bis zu 300 Terawattstunden (TWh) Wärme in den Wärmesektor einspeisen könnten. Das entspricht etwa einem Viertel des heutigen gesamten deutschen Wärmebedarfs. Aktuell werden jedoch lediglich rund 1,6 TWh Wärme mittels Tiefengeothermie bereitgestellt – ein winziger Bruchteil des Machbaren. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) selbst strebt bis 2030 lediglich 10 TWh an, was von Branchenexperten als viel zu niedrig kritisiert wird.
Die Vorteile der Tiefengeothermie für die Energiewende liegen auf der Hand:
- Grundlastfähigkeit und Verlässlichkeit: Sie liefert kontinuierlich Wärme und kann damit eine stabile Basis für Fernwärmenetze bilden, was die Integration fluktuierender erneuerbarer Energien im Stromsektor erleichtert.
- Importunabhängigkeit und regionale Wertschöpfung: Die Energiequelle ist lokal verfügbar und reduziert die Abhängigkeit von internationalen Energieimporten und deren Preisschwankungen. Dies stärkt die regionale Wertschöpfung und Energiesicherheit.
- Geringer Flächenverbrauch: Im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energien benötigt ein Geothermiekraftwerk nur sehr wenig oberirdische Fläche.
- Wärmemarkt-Dekarbonisierung: Tiefengeothermie kann insbesondere die Wärmeversorgung in dicht besiedelten Gebieten und für industrielle Prozesswärme klimaneutral gestalten und fossile Brennstoffe wie Erdgas oder Kohle ersetzen.
Trotz dieses vielversprechenden Potenzials steht die Tiefengeothermie in Deutschland vor erheblichen Herausforderungen, die ihren Hochlauf bislang bremsen:
- Hohe Anfangsinvestitionen und Fündigkeitsrisiko: Die Erkundung und Bohrung in große Tiefen ist kapitalintensiv und birgt ein geologisches Fündigkeitsrisiko (findet man die erwarteten Ressourcen?). Staatliche Risikoabsicherungen (z.B. durch die KfW) sind hier entscheidend, um Investitionssicherheit zu schaffen.
- Lange Genehmigungsverfahren: Die Aufsuchungs- und Genehmigungsverfahren sind komplex und langwierig, was die Projektlaufzeiten erheblich verlängert und Investitionen verzögert.
- Akzeptanz und seismische Aktivität: Einzelne Projekte, insbesondere im Oberrheingraben, hatten in der Vergangenheit mit induzierter Seismizität zu kämpfen, was zu Akzeptanzproblemen in der Bevölkerung führen kann. Hier sind eine transparente Kommunikation und die Anwendung bewährter Technologien zur Risikominimierung unerlässlich.
- Fachkräftemangel und fehlende Infrastruktur: Es mangelt an ausreichend qualifizierten Fachkräften und an der notwendigen Infrastruktur für den massiven Ausbau von Tiefenbohrungen und Wärmenetzen.
Um das volle Potenzial der Tiefengeothermie zu heben, bedarf es einer konkreten politischen Strategie und eines entschlossenen Handelns. Dazu gehören die Anhebung der Ausbauziele, die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, die Verbesserung der Fündigkeitsrisikoabsicherung, gezielte Förderprogramme und der Ausbau von Forschung und Entwicklung.
Die Tiefengeothermie ist kein Allheilmittel, aber sie ist eine unverzichtbare und grundlastfähige Säule für eine erfolgreiche und umfassende Energiewende in Deutschland, insbesondere im kritischen Wärmesektor. Wenn die vorhandenen Potenziale mit der notwendigen Entschlossenheit angegangen und die bestehenden Hürden systematisch abgebaut werden, kann die Wärme aus der Tiefe einen substanziellen Beitrag zur Klimaneutralität leisten und Deutschland unabhängiger von fossilen Importen machen.