Die unterschiedliche Richtung der Emissionen in Asien und Europa ist eine Realität
Die Diskrepanz lässt sich im Wesentlichen auf folgende Faktoren zurückführen:
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Historische Verantwortung vs. aktuelle Emissionen:
- Europa (und der globale Norden): Hat historisch den größten Anteil an den kumulativen Emissionen seit der Industrialisierung. Viele europäische Länder haben bereits einen hohen Grad an Dekarbonisierung erreicht, oft auch durch die Auslagerung energieintensiver Produktion in andere Regionen (sog. "Emissionsverlagerung" oder "Carbon Leakage"). Die EU hat sich ehrgeizige und rechtlich verbindliche Reduktionsziele gesetzt (z.B. 55% bis 2030 gegenüber 1990, Netto-Null bis 2050). Ihre Emissionen sinken absolut.
- Asien (insbesondere China, Indien, Südostasien): Diese Länder sind Schwellen- und Entwicklungsländer, die sich noch in einer Phase starken Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums befinden. Ihr Pro-Kopf-Verbrauch war historisch niedrig, steigt aber mit dem Wohlstand. Viele Länder in Asien sind noch stark auf Kohle und andere fossile Brennstoffe für ihre Energieversorgung angewiesen, um den steigenden Energiebedarf zu decken und die Armut zu bekämpfen. Auch wenn sie massiv in erneuerbare Energien investieren (China ist hier weltweit führend), steigen die absoluten Emissionen in vielen dieser Länder weiterhin an. China ist der größte Emittent weltweit, Indien der drittgrößte.
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Entwicklungsstadium und Prioritäten:
- Für viele asiatische Länder steht die wirtschaftliche Entwicklung, die Armutsbekämpfung und die Schaffung von Wohlstand für ihre Bevölkerung an erster Stelle. Klimaschutz wird als wichtig erachtet, aber oft im Kontext dieser primären Entwicklungsziele gesehen.
- Das Prinzip der "Gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeiten und jeweiligen Fähigkeiten" (Common but Differentiated Responsibilities and Respective Capabilities – CBDR-RC), das im Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) verankert ist, spielt hier eine große Rolle. Es besagt, dass alle Staaten eine gemeinsame Verantwortung für den Klimaschutz haben, aber ihre Beiträge je nach historischem Beitrag zu den Emissionen und ihren jeweiligen wirtschaftlichen Kapazitäten unterschiedlich sein sollten.
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Ambitionsniveau und Zeitpläne:
- Europa: Setzt auf schnelle und tiefgreifende Emissionssenkungen in den nächsten Jahrzehnten.
- Asien: Viele asiatische Länder haben zwar Netto-Null-Ziele (China 2060, Indien 2070), ihre kurz- und mittelfristigen Reduktionsziele (NDCs) bis 2030 sehen oft noch einen Emissionsanstieg oder eine Verringerung der Emissionsintensität (Emissionen pro BIP-Einheit) vor, nicht unbedingt absolute Emissionssenkungen in allen Sektoren. Der Höhepunkt der Emissionen (Peak Emissions) wird von einigen asiatischen Ländern (z.B. China vor 2030) noch erwartet, während Europa seinen Peak längst überschritten hat.
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Technologietransfer und Klimafinanzierung:
- Asiatische Länder fordern vom globalen Norden eine stärkere Unterstützung bei der Klimafinanzierung und dem Technologietransfer, um ihre Energiewende und Dekarbonisierung zu beschleunigen. Sie sehen es als unfair an, die Last des Klimaschutzes alleine tragen zu müssen, nachdem die Industrieländer ihren Wohlstand auf fossilen Brennstoffen aufgebaut haben. Die Zusagen der Industrieländer, 100 Milliarden US-Dollar jährlich für die Klimafinanzierung bereitzustellen, wurden lange Zeit nicht vollständig erfüllt, was das Vertrauen beeinträchtigt hat.
Können wir doch noch zueinander finden?
Ja, ein Zueinanderfinden ist absolut notwendig und möglich, aber es erfordert intensive Diplomatie, gegenseitiges Verständnis und konkrete Maßnahmen:
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Stärkung der internationalen Zusammenarbeit und des Multilateralismus:
- Das Pariser Abkommen mit seinen nationalen Klimabeiträgen (NDCs) ist der Rahmen. Es ist entscheidend, dass alle Länder ihre Ambitionen im Rahmen des Paris Agreement erhöhen und umsetzen.
- Bilaterale und regionale Kooperationen: Die EU arbeitet intensiv mit asiatischen Ländern zusammen (z.B. mit Japan, Südkorea, Indien, Indonesien) an grünen Partnerschaften, um Technologietransfer, Investitionen in erneuerbare Energien und den Ausbau grüner Infrastruktur zu fördern.
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Klimafinanzierung und Technologietransfer:
- Die Industrieländer müssen ihre Zusagen bei der Klimafinanzierung einhalten und sogar übertreffen. Es geht nicht nur um öffentliche Gelder, sondern auch um die Mobilisierung privater Investitionen für die Dekarbonisierung in Asien.
- Der Transfer von Schlüsseltechnologien (z.B. für erneuerbare Energien, Energiespeicher, grüne Wasserstoffproduktion, CCS-Technologien) muss erleichtert werden, auch durch die Senkung von Lizenzgebühren oder die gemeinsame Entwicklung.
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Fokus auf Win-Win-Situationen:
- Hervorhebung der Vorteile von Klimaschutz für Asien: saubere Luft (ein großes Problem in vielen asiatischen Städten), Energiesicherheit durch heimische Erneuerbare, neue Wirtschaftsfelder und Arbeitsplätze, Schutz vor Extremwetterereignissen.
- Grüner Handel: Die EU fördert durch Initiativen wie den Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) eine globale Angleichung der CO2-Preise. Dies könnte asiatische Länder dazu anregen, eigene CO2-Bepreisungssysteme einzuführen, um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden und gleichzeitig Emissionen zu senken.
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Differenzierte Ansätze für verschiedene asiatische Länder:
- China: Als größter Emittent ist Chinas Weg entscheidend. China investiert massiv in erneuerbare Energien und Elektromobilität, ist aber noch stark von Kohle abhängig. Die Zusammenarbeit sollte sich auf gemeinsame Technologielösungen, den Ausbau erneuerbarer Energien und die Förderung eines Peak-Emissions-Pfades vor 2030 konzentrieren.
- Indien: Ein Land mit riesigem Energiebedarf und großem Entwicklungspotenzial. Hier geht es um massive Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz, aber auch um Lösungen für den Übergang in energieintensiven Industrien.
- Südostasien (ASEAN): Viele dieser Länder sind besonders anfällig für die Auswirkungen des Klimawandels. Hier steht die Unterstützung bei der Anpassung und dem Aufbau resilienter Energiesysteme im Vordergrund.
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Globale Verantwortung und Gerechtigkeit:
- Die Diskussion muss die unterschiedlichen Entwicklungsstufen und die historische Verantwortung anerkennen. Ein "Fingerzeig" der Industrieländer ist kontraproduktiv. Stattdessen braucht es partnerschaftliche Ansätze, die sowohl Emissionsreduktion als auch gerechte Entwicklung ermöglichen.