Gas- und Ölförderung in der Nordsee
Die Kritikpunkte im Überblick:
Die Kritik an der Gas- und Ölförderung in der Nordsee ist vor allem von Umwelt- und Klimaschutzorganisationen sowie Teilen der Politik geprägt:
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Klimaschutzziele: Der Hauptkritikpunkt ist, dass neue fossile Projekte wie die Gasförderung in der Nordsee den deutschen und europäischen Klimazielen zuwiderlaufen. Deutschland hat sich verpflichtet, bis 2045 klimaneutral zu sein. Investitionen in fossile Infrastruktur könnten einen "fossilen Lock-in-Effekt" erzeugen, der dazu führt, dass diese Infrastruktur über Jahrzehnte genutzt wird, unabhängig von den Klimazielen. Jeder Euro, der in Gas statt in Erneuerbare fließt, wird als verschwendet betrachtet.
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Umweltrisiken: Die Nordsee, insbesondere das Wattenmeer, ist ein sensibles Ökosystem und UNESCO-Weltnaturerbe. Bohrungen bergen Risiken für die Umwelt:
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Havarien: Bei Unfällen (Blow-outs, Schiffskollisionen) könnten unkontrolliert Gas, Bohrspülung und Lagerstättenwasser freigesetzt werden, was zu erheblichen Umweltschäden führen würde.
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Kontinuierliche Schadstoffemissionen: Auch im Normalbetrieb gelangen ständig Schadstoffe wie Schwermetalle und aromatische Kohlenwasserstoffe in die Umwelt, die Tiere und Pflanzen schädigen können.
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Belastetes Lagerstättenwasser: Die Rückleitung von belastetem Lagerstättenwasser ins Meer wird kritisiert.
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Schädigung sensibler Gebiete: Simulationen zeigen, dass austretende Schadstoffe bei Havarien sehr wahrscheinlich Schutzgebiete und schützenswerte Steinriffe verunreinigen würden.
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Geringe Relevanz für die Versorgungssicherheit: Kritiker argumentieren, dass die geplanten Gasfelder vor Borkum nur einen vernachlässigbaren Anteil (etwa 1%) zum deutschen Gasverbrauch beitragen würden. Die Relevanz für die Versorgungssicherheit sei damit nicht gegeben.
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Schwächung der Umweltkontrolle: Das deutsch-niederländische Unitarisierungsabkommen zur grenznahen Förderung wird als "Wunschzettel der fossilen Industrie" kritisiert. Es ignoriere laufende Gerichtsverfahren, schwäche die Umweltkontrolle, schließe Beteiligung aus und enthalte keine verbindlichen Regelungen zu Umwelt- oder Havarierisiken.
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Subventionierung fossiler Energien: Die Förderung fossiler Energien, auch im Inland, wird als kontraproduktiv angesehen, da sie Anreize schafft, die Abhängigkeit von ihnen zu verlängern, anstatt den Ausbau erneuerbarer Energien konsequent voranzutreiben.
Argumente für die heimische Förderung ("vor der Haustür"):
Die Befürworter der heimischen Gas- und Ölförderung führen vor allem Argumente der Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Souveränität an:
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Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit:
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Weniger Abhängigkeit: Nach der Energiekrise und dem Krieg in der Ukraine hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, die Abhängigkeit von einzelnen Energieimportländern zu reduzieren. Heimische Förderung, auch in geringem Umfang, trägt zur Diversifizierung der Bezugsquellen bei.
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Brückentechnologie: Gas wird oft als notwendige Brückentechnologie auf dem Weg zur Klimaneutralität angesehen. Solange Deutschland noch Gas benötigt (z.B. für die Industrie oder die Stromerzeugung als Back-up für erneuerbare Energien), ist es aus dieser Sicht besser, einen Teil davon selbst zu fördern.
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Regionaler Bedarf: Gas und Öl sind nicht nur Energieträger, sondern auch wichtige Rohstoffe für die Chemieindustrie. Heimische Förderung kann hier die Versorgungssicherheit erhöhen.
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Wirtschaftliche Aspekte:
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Kürzere Transportwege: Heimische Förderung bedeutet kürzere Transportwege. Dies reduziert die Transportkosten, die logistischen Risiken und die damit verbundenen CO2-Emissionen im Vergleich zu Importen aus weit entfernten Regionen.
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Arbeitsplätze und Wertschöpfung: Die heimische Förderindustrie schafft Arbeitsplätze und generiert Wertschöpfung in der Region. Sie verfügt über hohe technische Kompetenzen und kann diese weiterentwickeln.
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Steuereinnahmen: Die Förderung bringt Steuereinnahmen für den Staat.
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Niedrigere Umweltstandards im Ausland: Ein oft vorgebrachtes Argument ist, dass Gas und Öl, die in Deutschland nicht gefördert werden, stattdessen im Ausland produziert werden, wo die Umweltstandards und Sicherheitsauflagen möglicherweise deutlich niedriger sind. Eine kontrollierte Förderung vor der eigenen Haustür unter strengen deutschen Auflagen könnte somit unter dem Strich weniger schädlich sein.
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Bestehende Infrastruktur: Deutschland verfügt über bestehende Infrastruktur für die Förderung und den Transport von Gas und Öl, die weiter genutzt werden könnte, anstatt neue Infrastruktur im Ausland zu schaffen.
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Technologisches Know-how: Die deutsche Förderindustrie hat ein hohes technologisches Niveau. Dieses Know-how könnte auch für die Weiterentwicklung und sichere Nutzung von geologischen Speichern (z.B. für CO2 oder Wasserstoff) in der Energiewende relevant sein.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Befürworter der heimischen Gas- und Ölförderung in der Nordsee sehen darin einen Beitrag zur Energiesicherheit und Unabhängigkeit in einer Übergangsphase, in der Deutschland noch fossile Energieträger benötigt. Sie betonen die wirtschaftlichen Vorteile und die Möglichkeit, die Förderung unter hohen Umweltstandards im eigenen Land zu kontrollieren. Die Kritiker hingegen sehen darin einen Widerspruch zu den Klimazielen, eine Bedrohung für sensible Ökosysteme und eine Ablenkung von der notwendigen konsequenten Energiewende hin zu erneuerbaren Energien. Es ist ein klassischer Zielkonflikt zwischen kurzfristigen Bedarfen und langfristigen Klimazielen.